Das ehrliche Interview mit Marino über mentale Vorbereitung, Nervosität und blöde Fragen zum Thema Triathlon
Am 28.06.2015 gewann Marino Vanhoenacker mit großem Abstand auf seine Verfolger den Ironman Austria zum wiederholten Mal. Ein paar Tage später durfte ich ihn zum Interview treffen. Natürlich hat mich besonders interessiert, was er tut, um mental stark an den Start zu gehen…
Dein Sieg am Sonntag war beeindruckend. Du warst einfach unschlagbar, wieso?
Marino: Während ich vier Wochen vorher beim Rennen im Brasilien (Sieg) noch das Gefühl hatte, es gibt da eine Wand, über die ich nicht drüber kann, war die Wand bei diesem Rennen weg. Ich konnte beim Schwimmen vorne mitschwimmen, hab dann am Rad mit Vollgas angefangen und das Rennen lief perfekt. Ich konnte den ganzen Tag machen, was ich wollte. Es war kein Spaziergang, aber da war viel Raum. Beim Rennen in Klagenfurt läuft es immer gut für mich.
Was tust du, um dich auf so ein Rennen geistig vorzubereiten?
Marino: Ich bin meistens 3-4 Wochen vor Ort, um auf der Strecke zu trainieren. Das ist ein Riesenvorteil und ich verstehe nicht, warum die anderen Jungs das nicht auch ausnutzen. Ich glaube, das macht das Rennen für mich definitiv einfacher.
Was machst du noch, um dich mental darauf einzustellen?
Marino: Ich mache keine speziellen Übungen, aber ich visualisiere sehr viel. Ich fahre die Strecke nicht nur physisch ab, ich denke auch sehr viel darüber nach und das hilft mir sehr. Ich stelle mir zum Beispiel Fragen wie: Was kommt beim Rennen auf mich zu, beim Schwimmen, auf der Radstrecke, beim Laufen? Was passiert, wenn das oder das eintritt? Was muss ich machen, um bestimmte Situationen zu verhindern. Was ist notwendig, dass ich auch wirklich das durchziehen kann, was ich möchte? Manchmal denke ich vielleicht sogar zu viel darüber nach. Ich trainiere nie mit Musik und deswegen führe ich dann viele Selbstgespräche. Hoffentlich nicht laut (lacht), aber bis jetzt hat sich niemand beschwert. Ich führe dann ganze Konversationen mit mir selbst. Das mache ich schon seit Beginn meiner Karriere. Ich denke dann auch gerne an den Zieleinlauf und überlege mir, was ich bei der Awards Ceremony sagen werde. In Wirklichkeit sage ich dann oft etwas anderes, aber ich hätte schon mal etwas vorbereitet. Das klingt vielleicht ein bisschen komisch oder verrückt, aber ich bin sehr viel alleine unterwegs (lacht).
Das Trainieren alleine ist auch sehr wichtig für mich. Am Renntag bist du ja auch alleine und musst vieles alleine machen. Ich glaube, da muss man sich auch entsprechend darauf vorbereiten. Für mich geht das am besten, wenn ich alleine auf Trainingslager fahre und ganz früh bei einem Rennen schon vor Ort bin – auch alleine. Es ist sicher eine meiner Stärken, dass ich das durchziehen kann.
Wirst du eigentlich noch nervös vor Wettkämpfen?
Marino: Oja, und bei diesem Rennen war es ganz besonders schlimm, weil der Druck so groß war. Ich möchte eigentlich nie verlieren. Daher wollte ich auch nicht mehr zurückkommen zu diesem Rennen. Ich hatte das Gefühl, das Risiko, das ich das Ding hier verlier, wird jedes Jahr größer. Aber dann fiel die Entscheidung im Team, dass ich hier starte. Ich komme natürlich nicht hierher, um in der Gruppe zu schwimmen und zu fahren und dann Dritter oder Vierter zu werden, weißt du. Das bringt schon ein bisschen Stress (lacht.)
Die Zweifel kommen immer in den letzten 3-4 Tagen vor dem Rennen. Dann trainiere ich vorher kaum mehr habe viel Zeit zum Nachdenken und damit kommen negative Gedanken und auch Angst. Das macht mich dann schon ein bisschen nervös. Wenn ich im Race Hotel auf meine Gegner treffe oder zur Pressekonferenz muss. Beim Bike-Check-In kommt der Stress richtig hoch. Das Schlimmste ist natürlich der Morgen vor dem Rennen. Diese drei Stunden gefallen mir überhaupt nicht. Aber wenn ich mal nicht mehr nervös werde, sollte ich vielleicht lieber aufhören. Meine Begeisterung bringt das mit sich. Bis jetzt hat der Belgier aber immer noch ein bisschen Stress (lacht).
Was machst du dann, wenn du nervös wirst?
Marino: Ich versuche, es nicht zu zeigen. Wenn ich cool aussehe, dann haben die anderen ein bisschen mehr Stress (lacht). Ich bin dann am liebsten alleine. Je weniger Leute ich sehe oder mit mir sprechen, desto besser ist es für mich. Vor allem rede ich dann nicht gerne über Triathlon.
Sprichst du generell nicht gerne über Triathlon?
Marino: Nein, wirklich nicht. Ich mache den Sport seit 20 Jahren unglaublich gerne. Meine Begeisterung und Motivation sind immer noch da. Ich tue auch alles, um besser zu werden oder gut zu bleiben. Wenn aber eine Trainingseinheit vorbei ist, dann möchte ich meine Schuhe ausziehen oder das Rad in die Garage stellen, duschen und dann war es das. Ich möchte dann nicht, dass mir jemand Fragen über Triathlon stellt. Und in der Rennwoche möchte ich dann noch weniger über den Sport reden. Deswegen mag ich Pressekonferenzen überhaupt nicht. Sie stellen immer die gleichen Fragen und wollen immer die gleichen Antworten hören. Das Meiste wurde schon zu oft gesagt. Ich würde gerne einmal bei einer Pressekonferenz sein, bei der nicht über Triathlon geredet wird (lacht). Dann gäbe es auch etwas Interessanteres darüber zu schreiben, als wie viele Watt und wie viele Kilometer trainiert wurde, dass alle vorbereitet sind und alle gewinnen möchten.
Hörst du öfters: „Aber das ist doch dein Job?“
Marino: ja das höre ich oft. Ich bin aber anderer Meinung. Andere Leute wollen ja nach ihrem Arbeitstag auch nicht unbedingt über ihren Job reden. Mein Job macht mir sehr viel Spaß und ich bin ziemlich erfolgreich. Insofern ist es ja gar nicht meine Arbeit, denn es ist mein Hobby. Da ist zwar was gewaltig schief gelaufen mit dem Hobby (lacht), aber ich habe etwas, das mir Spaß macht, zum Beruf gemacht, und Pressekonferenzen und viel Gerede über Triathlon gehören eben nicht dazu. Das passiert natürlich sehr vielen Profisportlern. Wenn Leute einen Sportler sehen, fangen sie gleich an, vom Sport zu reden. Ich kann aber auch über Politik oder Mädels reden, ich kann auch Party machen, weißt du? (lacht)
Ja, was machst du eigentlich sonst?
Marino: gar nichts (lacht). Nein, ganz wenig natürlich. Mein Leben dreht sich um den Sport. Meistens bin ich so fertig, da reicht mir dann Fernsehen vollkommen. Das mach ich sehr gerne. Ich könnte 6-7 Stunden am Tag trainieren und dann noch 5 Stunden fernsehen, essen, zwischendurch schlafen – perfekt (lacht). Gerade am Trainingslager ist das tatsächlich so: Trainieren, Fernsehen, Essen, Schlafen. Ich bereite mich auf jede einzelne Einheit gut vor, damit sie auch den gewünschten Effekt bringt. Danach dann Beine hoch und erholen. Mancher denkt vielleicht: Schade um die Zeit, aber das ist ja meine Entscheidung. Und wer gewinnt, hat Recht, weißt du (lacht).
Ich fische gerne. Vor dem Triathlon konnte ich 55 Tage von 60 Tagen Urlaub am See verbringen. Durch den Sport wurde ich aber unruhig. Dann konnte ich nicht mehr abschalten habe es lange nicht gemacht. Als ich voriges Jahr verletzt war und wirklich gar nichts mehr machen konnte, ging ich zu Hause meiner Familie bereits auf die Nerven. Also habe ich es wieder versucht. Und nächste Woche, werde ich auch 1-2 Tage ganz allein fischen gehen. Das gefällt mir unglaublich gut und das fehlt mir jetzt auch ein bisschen.
Du hast ja vor diesem Rennen auch deine Teamkollegen dazu aufgefordert, dich mit ihrer Energie für dieses Rennen zu unterstützen? Machst du das öfter?
Marino: Nein, das habe ich noch nie zuvor gemacht. Ich ging davon aus, dass es ein enges Rennen wird und dass ich jede Unterstützung brauchen werde. Auch wenn es nicht knapp war, es war umso schöner, dass ich den Support von allen bekommen habe sie mit mir feiern konnten. Ich bin mir sicher, dass, wenn das Publikum und dein Team hinter dir steht, dass das einen großen Unterschied macht. Ich woltle das dieses Mal einmal bewusst nutzen.
Was würdest du einem Hobby-Triathleten raten, wenn er einen Ironman macht?
Marino: Sie sollten sich die Frage stellen: warum sie das machen. Und sie sollten gleich eine gute Antwort darauf haben. Egal, wie sie lautet. Ich sehe so viele Leute am Start, vorher, nachher, in der Wechselzone, die haben einen enormen Stress, setzen sich und ihre Familie und Freunde unter Druck und wissen nicht einmal, warum sie das tun. Habt doch ein bisschen Spaß und macht nicht so einen Stress. Nicht einmal die Profis haben einen solchen Stress. Ich habe nicht das Recht darüber zu urteilen. Wenn jemand Stress haben will, dann soll er ihn haben. Aber ich wundere manchmal schon. Ich war schon oft an der Finishline und da gibt es Leute, die durchdrehen, weil jemand vor Ihnen im Finish steht und ihr Finisher Foto daher verdecken.
Natürlich ist Triathlon ein Sport mit vielen Egoisten. Ich bin mir sicher und mir vollkommen bewusst, dass ich ein schwieriger Typ bin, wenn man mit mir leben muss. Nicht nur für meine Frau, auch für meine Freunde. Aber ich weiß, wohin ich will und da gehe ich nicht davon ab. Ich glaube, mein Weg funktioniert ziemlich gut und deswegen bleibe ich auf meinem Weg. Auf jeden Fall sollte jeder wissen, warum er oder sie das macht. Wenn man die Antwort darauf nicht sofort weiß, dann sollte man lieber etwas anderes machen.
Photocredit: brenner yvonne photography